Dillenburg-Nanzenbach. Ein fast vergessenes Kapitel aus der heimischen Geschichte ist die Zeit, als sich eine englische Gesellschaft im frühen neunzehnten Jahrhundert in den Nanzenbacher Kupferbergbau einkaufte. Nach 1800 hatten die Briten überall auf dem Kontinent begonnen, Kapital zu investieren. Sie waren damals führend in der Montan-Technologie und hatten deswegen die Nase vorne, als hemmende Zunftschranken und Zollbarrieren fiel. Vertreter dieser Nation waren es denn auch, die als erste eine Dampfmaschine hier zu Lande in Betrieb nahmen - importiert aus ihrem Heimatland jenseits des Kanals.

kupfergrube-neuer-muthAber der Reihe nach. Mankur hieß der Direktor, den 1835 eine englische Sozietät mit der Mission in das nassauische Land schickte, Zechen zu erwerben. Er schlug wahrhaftig zu: Vierundzwanzig riss er sich gleich unter den Nagel. Welche aus Ewersbach, Langenaubach, Niederroßbach, Herbornseelbach, Hirzenhain und Frohnhausen waren dabei. Aber genau die Hälfte lag auf Nanzenbacher Gemarkung, darunter die Filetstücke: Neben den Gruben „Gemeine Zeche" und „Neuer Muth" auch die „Hilfe Gottes". Für diese drei musste mehr als die Hälfte des Kaufpreises von 22.000 Florin hingeblättert werden.

Erst nach zwei Jahrzehnten, die schließlich mit Misserfolgen endeten, trennte sich die Gesellschaft wieder von dem Besitz. Doch brachte er zunächst eine gute Ausbeute, und so zeigten die neuen Eigentümer eine hohe Investitionsbereitschaft. Ein Nanzenbacher namens Johann Jost Horch war von diesen Neuerungen offenbar so fasziniert, dass er akribisch Tagebuch über die Ereignisse führte. Seine Aufzeichnungen sind noch vorhanden, so dass wir manches Geschehen im Detail nachvollziehen können.

Nachdem Mankur die Zechen gekauft hatte, wurde er durch einen anderen Direktor namens Patrik abgelöst. Von der „Neuen Muth" erwartete er die meiste Ausbeute. Er ließ einen neuen Schacht anlegen, auf den eine Rossmaschine gesetzt wurde - eine Förderanlage also, die von Pferden in Bewegung gehalten wurde, und die sowohl das Gestein heraufbefördern als auch das Grundwasser abpumpen sollte.

Je tiefer die Engländer in die Erde eindrangen, desto schwieriger wurde die Wasserhaltung. So entschloss sich Patrik schließlich, eine Dampfmaschine aus seinem Mutterland kommen zu lassen, die die Rossmaschine ersetzen sollte.

Im November 1844 kam sie in Dillenburg an. Zuguterletzt gab es hier noch ein Problem: 26 Pferde mussten vorgespannt werden, um den Kessel die steile Dillenburger „Hohl" hinaufzuziehen. Erfolglos! Erst als am nächsten Tag ein Flaschenzug installiert wurde und rund hundert Männer mit anpackten, wurde die Steigung bewältigt. Dass es solche Schwierigkeiten bereits vorher auf dem langen Landweg gegeben haben muss, kann man ahnen. Schließlich hatte die Eisenbahn das Land noch längst nicht erschlossen.

Als der Transport am Ziel ankam, fanden sich mehrere hundert neugierige Zuschauer ein. Nicht nur aus Nanzenbach, auch in den Dörfern der Umgebung hatte sich dieses Ereignis herumgesprochen. Wenige Meter vor der Grube „Neuer Muth" blieb das Gespann auf dem Felde stehen. Warum auch immer - erst einmal blieb der Kessel monatelang auf den Äckern liegen, bevor er in Betrieb ging.

Es war ein vierter Direktor namens Linon, der dieses Werk vollendete. Mit ihm löste die englische Muttergesellschaft den Nachfolger des 1842 erkrankten Patrik, Seymour, wegen der vielen von ihm gemachten Schulden ab. Ob Seymour leichtsinnig gewesen war oder ob nur die Gesellschaftseigner auf der fernen britischen Insel seine Geschäfte nicht nachvollziehen konnten? Investitionen hatte er schließlich nicht nur in die Dampfmaschine getätigt. Er hatte auch auf der „Alten Wiese", etwa dort, so heute die Gymnastikhalle und das Gemeinschaftshaus stehen, eine Aufbereitungsanlage für die Kupfererze bauen lassen.

Ungeachtet ihrer technischen und finanziellen Schwierigkeiten brachten die Briten viele Änderungen in das bis dahin beschauliche Leben des Dorfes am Rande des Schelderwaldes. Sechzehn englische Bergleute arbeiteten 1840 in Nanzenbach, daneben ein Maurermeister, ein Maschinist und ein Schmied. Viele von ihnen hatten ihre Familienangehörigen mitgebracht: insgesamt zehn Frauen und neunzehn Kinder.

Außer den Fachleuten vom fernen Vaterland boten die Briten auch vielen Einheimischen Arbeit. Neben etlichen Nanzenbachern, für die „Gemeine Zeche" und „Neuer Muth" kaum mehr als ein Steinwurf entfernt waren, nahmen Männer aus den Nachbardörfern den Weg zu diesen Gruben auf sich. Aus Eibach, Sechshelden, Manderbach, Frohnhausen, Wissenbach, Eibelshausen, Eiershausen, Steinbrücken, Hirzenhain und Tringenstein kamen sie. Selbst für einige Dillenburger gab es hier offenbar bessere Verdienstmöglichkeiten als in den Häusern unter Schlossruine.

Obwohl die Löhne für sie nicht annähernd so hoch waren wie für die englischen Fachkräfte, waren für einige schlaue Nanzenbacher noch Gewinnspannen drin: Sie mieteten sich Knechte, die sie für sich in den Stollen der Briten arbeiten ließen. Achtzehn aus den Dörfern der Umgebung waren es im Jahre 1843, davon alleine sieben aus Mandeln.

Das Wort Umweltschäden kannte man damals noch nicht - aber die fremden Grubenbesitzer verursachten sie! Bei ihren Arbeiten brachten sie den Grundwasserhaushalt des Bergmannsdorfes ganz schön durcheinander. Der Tiefbau ließ einige Brunnen im Dorf trocken fallen. Um einen Ausgleich zu schaffen, legten die Engländer eine Wasserleitung von „Storkborn", wo sich auch heute noch das örtliche Wasserwerk befindet, ins Dorf. Sie bestand aus gußeisernen Rohren und dürfte wohl die erste Wasserleitung in Nanzenbach, wenn nicht in unserer Heimat schlechthin gewesen sein.

Natürlich ging auch das Wirken unter ausländischer Regie nicht ohne Unglücke vonstatten. Am 11. März 1841 ließ ein Frohnhäuser Knappe auf der „Neuen Muth" sein Leben. Ein knappes Jahr später, am 4. Januar 1842 folgte ihm ein Wissenbacher in den Tod, der auf „Gemeinen Zeche" beschäftigt war.

Kommen wir nun zu den technischen Schwierigkeiten zurück. Ein Problem für das Betreiben der Dampfmaschine war die Energieversorgung. Braunkohle fand dafür Verwendung, wahrscheinlich wurde sie vom Westerwald bezogen. Der Ankauf der Kohlen mitsamt dem Fuhrlohn für den weiten Transportweg war recht kostspielig.

1849, als Direktor Lindon seine Stelle niederlegte und die Nanzenbacher Kupfergrubenbetriebe mit seinem Nachfolger Hackett ihren fünften und letzten Chef bekamen, stand die Dampfmaschine öfter still, was die Schwierigkeiten mit dem Grubenwasser vergrößerte. 1851 wurde sie noch einmal in Betrieb genommen, aber die Tage der Engländer in Nanzenbach waren fortan gezählt.

1854 trennten sie sich von dem Besitz auf dem Kontinent. Ihre Nachfolger, erst ein Franzose und dann zwei Deutsche, blieb ebenso der wirtschaftliche Erfolg versagt. Eine vorübergehende Scheinblüte hatte die Zeche „Neuer Muth", deren Halden noch heute das Bild der oberen Gewannstraße prägen, viele Jahrzehnte später, als die Nazis im Rahmen ihrer Kriegspläne auch die Kupfererzbetriebe subventionierten, weil sie einen wichtigen Rohstoff für ihre Waffenschmieden lieferten. Mit den 40er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts kam dann der Kupferabbau in Nanzenbach endgültig zum Erliegen.