Dillenburg-Nanzenbach (ul). „Nanzenbach – das Dorf, im Tal strack eingezwängt". Diesen Titel trägt der dritte Band mit Beiträgen zur Nanzenbacher Dorfchronik, den Irene Eichert zusammengestellt hat und der jetzt, rechtzeitig vor dem Weihnachtsfest, erschienen ist.

chronik-im-tal-strackDie frühen 60er Jahre stehen dieses Mal im Mittelpunkt, die Jahre also, die in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als die Zeit des Wirtschaftswunders gelten. Als Schreiberin hat sich Irene Eichert dieses Mal freilich deutlich zurückgenommen, nachdem sie in den zwei Bänden zuvor bewiesen hat, dass sie sowohl in der Recherche als auch im Stil sicher ist.

Dafür konnte sie auf bewährte Mitarbeiter zurückgreifen und neue hinzu gewinnen, die das Wissen um die Geschichte dieses einstigen Bergmannsdorfes am Rande des Schelderwaldes anreichern. Den wichtigsten Beitrag hat Gustav Koch dieses Mal geschrieben, den über die Geschichte der Hintergasse, die Strasse, in der er selbst wohnt. Ganz nebenbei weist er auch an menschlichen Einzelschicksalen auf die Auswüchse des Nationalsozialismus hin, die in seinem Dorf zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch längst nicht alle aufgearbeitet waren.

In Gustav Kochs Bericht eingefügt ist das im Dialekt verfasste Gedicht von Gerdi Nickel, das sie vor Jahren schon auf einem Heimatabend vortrug: „Derr Ehrnschrank". Seinen Inhalt listet sie in knapp fünfzig Zeilen im Detail auf: „Do loag derr Wetzstah näwer derr Bodder, emm Alwin sei Pfeife, dej woar voll Sodder. Tuwaksblährer aussem Goarde, feer die Ahrwessesobbe de horde Schworde" – solcher Art gefüllt Flurschränke gab es damals freilich nicht nur bei „Schustersch" in der Hintergasse.

Doch in den 60er Jahren war schon längst wieder ein friedvoller Alltag eingekehrt. Davon zeugen die vielen hier wiedergegebenen Berichte von Günter Markl, der damals sozusagen der Nanzenbacher Korrespondent für die Lokalpresse war. Man muss seine Berichte schon genau lesen, um daraus zu entnehmen, welche Veränderungen damals das Dorf erfasste. Der Nachtwächter, der Kuhhirte – wie viele Jahrhunderte hatten sie zum Nanzenbacher Dorfleben dazu gehört? Auf einmal, zu Beginn des Wohlstandes, der sich vielleicht sogar nur mit einer Straßenbeleuchtung bemerkbar machte, waren sie überflüssig geworden.

Kunigunde Schäfer und das Ehepaar Luise und Walter Bastian (der vor wenigen Monaten verstarb) mit ihren zu Papier gebrachten Erinnerungen an den Alltag ergänzen den Blick auf Nanzenbach vor und während des Krieges. Ein absolutes Highlight sind die von Gerd Bendokat in Versform gebrachte Erinnerungen an dieses Dorf. In seiner Heimatstadt ausgebombt, verbrachte dieser Autor zweieinhalb Jahre seiner Kindheit, bis zum Ende des Krieges, hier. Schon lange weggezogen, hält er immer noch den Kontakt, vor allem zu seinen Jahrgangskameraden. „Der Flecken Schlingelbach im Hessischen" hat er es überschrieben.

Das Erscheinen dieses Werkes steht im Übrigen mit zwei runden Zahlen in Verbindung. Die Erforschung der Nanzenbacher Dorfgeschichte begann vor genau 25 Jahren. Roland Scheiter, der Vorsitzende des örtlichen Vogelschutzvereins und spätere Ortsvorsteher, regte sie im Jahre im Jahre 1986 an, weil ein Jahr später der zwanzigste Geburtstag seines Vereins bevorstand. Drei Bände, jeweils achtzig bis hundert Seiten stark und mit vielen Fotos versehen, entstanden dann unter seiner Regie. 1992 übernahm der neu gegründete Heimatverein diese Arbeit und ergänzte sie um vier weitere Bände, bevor sie Irene Eichert 2007 in Eigenregie übernahm. Der heimatverbundene Leser kann also jetzt auf zehn Bände zurückgreifen, die knapp 2500 Jahre Geschichte dokumentieren – denn schon vor Christi Geburt wohnten hier nachweislich keltische Siedler. Wohl kaum ein anderes Dorf weit und breit in dieser Größe ist damit so gut erforscht wie Nanzenbach.

 „Fachwerk an Fachwerk, ausgerichtet, schnurstracks soldatisch fast verpflichtet... Die Eingänge meist hochgelegen, erreicht man über Treppen, Stegen..." Welcher Nanzenbacher noch nicht gemerkt hat, dass damit sein Dorf gemeint ist, der merkt es spätestens, wenn Bendokat unter anderem diese Gemarkungsnamen auflistet: „Hübschbeul, Gereche, Batzbachtal, die Goldbachseite, Bergpfad schmal." Den Untertitel ihres neuesten Werkes, „das Dorf, im Tal strack eingezwängt," hat denn Irene Eichert auch von den einleitenden Worten dieses acht Seiten langen Gedichtes übernommen.

Irene Eicherts neuestes Werk ist nicht nur wieder sehr gelungen, es ist auch mit Abstand das umfangreichste aller bisher erschienenen. 124 Seiten umfasst es. Die Textbeiträge werden um über 90 Fotos, Dokumente und Zeichnungen, die zahlreiche Mitbürger zur Verfügung stellten, ergänzt. Es ist bei den Volksbank-Filialen in Nanzenbach, Frohnhausen und Hirzenhain erhältlich. Der Preis beträgt 12,50 Euro.

 

Auch die beiden vorherigen Bände sind bei der Autorin noch erhältlich. Kontakt: Irene Eichert, Tel.-Nr. 02771-34610.

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