Alljährlich gibt es im Bergbau Chinas Unglücke mit Dutzenden, vermutlich eher Hunderten von Toten zur Folge. Aber die Meldungen darüber schaffen es allenfalls in die Randbereiche unserer Massenmedien. Erst die spektakuläre Rettungsaktion in Chile, die vermutlich mehr als eine Milliarde Menschen weltweit live mitverfolgten, brachte es wieder ins Bewusstsein, dass der Beruf des Bergmannes nach wie vor einer der gefährlichsten weltweit ist.

Dabei ist sein Beruf nach wie vor für uns alle unverzichtbar. Vom Teelöffel bis zum Auto, vom Handy bis zum Düngemittel – kaum etwas, was uns Wohlstand und Lebensqualität sichert, und das nicht einen Rohstoff enthält, der im Bergbau über- oder untertage gewonnen wurde.

Dabei waren auch unserer Region Unglücke an der Tagesordnung, so lange der Bergbau florierte. Freilich: Solche mit katastrophalen Ausmaßen gab es im Schelderwald nicht. Die kamen vor allem im deutschen Kohlebergbau vor. „Schlagende Wetter", wie man die Methangasexplosionen nannte, Kohlestaubexplosionen oder auch Brände konnten hier zu verheerenden Folgen führen. So etwa am 12. November 1908 in der Grube „Nadbod" in Hamm, das 341 Kumpels das Leben kostet. Viele Zeitgenossen haben heute noch die Katastrophe vom 1. Juni 1988 in Erinnerung, als im nordhessischen Borken 51 Knappen ihr Leben verloren.

Das schwerwiegendste Unglück in der heimischen Region ereignete sich im Jahre 1872 in der Grube „Bindweide" unweit von Betzdorf, in der wie in denen links und rechts der Schelde Eisenerz abgebaut wurde. Freilich war die Ursache eher untypisch: Zwei Wassereinbrüche rissen vierzehn Männer in den Tod.

Wenn es im Schelderwald-Bergbau Schwerverletzte oder gar Tote gab, war das meistens auf Steinschlag zurückzuführen, manchmal auch auf einen Sturz in den Schacht. Auch unachtsamer Umgang mit Sprengstoff taucht in der Unfall-Statistik gelegentlich auf.

Schildern wir nun einige der tragischen Ereignisse, die keinesfalls erschöpfend sind, sondern nur einen kleinen, exemplarischen Blick auf die Schattenseite des heimischen Bergbaus werfen. Etwa das, das sich in der Nacht vom 8. auf den 9. September 1910 in der maschinellen Aufbereitung des Nikolausstollens ereignete. Der 17jährige Wilhelm Friedrich Schäfer wurde von dem Treibriemen des Brecherwerkes erfasst und mit auf die Transmissionswelle geschleift. Die Folge: ein Schädelbruch und eine Gehirnerschütterung. Er hauchte sein Leben in den frühen Morgenstunden in der elterlichen Wohnung in Nanzenbach aus.

Als der erste Weltkrieg begann, erhöhten die Materialschlachten an der Westfront den Eisenbedarf. Bedeutete das für manchen heimischen Bergmann zunächst das Glück, vom Militärdienst freigestellt zu werden, weil sein Einsatz in der heimischen Grube für die Strategen wichtiger war als der im Schützengruben, so wurden aber auch die Risiken in der Heimat größer. Die Hetze am Arbeitsplatz stieg, Sicherheitsmaßnahmen wurden vernachlässigt.

Alleine auf „Stillingseisenzug" verunglückten zwischen dem Herbst 1915 und dem Frühjahr 1918 drei Männer tödlich: Gestein erschlug Wilhelm Heinrich Klingelhöfer und Willi Gail. Heinrich Karl Nickel (der Urgroßvater des Autors!) verstarb nach dem Einatmen giftiger Sprengstoffgase. Sie alle stammten aus Nanzenbach, dem Dorf, das dieser Grube am nächsten lag.

Am 23. Juni 1915 kam es zu einem der seltenen Grubenbrände im heimischen Bergbau, auf dem Oberschelder „Auguststollen". Die Rauchschwaden zogen, bedingt durch den kräftigen „Wetterzug", wie der Bergmann die Frischluftzufuhr nennt, in die Untertageanlagen. Drei Männer der Nachtschicht, die aus Herbornseelbach, Bicken und Günterrod stammten, erstickten. Mehrere andere konnten, wenn auch bewusstlos, noch gerettet werden.

Ein schwarzer Tag im heimischen Bergbau war auch der 5. Juni 1919, an dem gleich vier Knappen verunglückten. Auf „Nikolausstollen" stürzte der 46jährige Nanzenbacher Gustav Wilhelm Hartmann in einem Überbruch ab und war sofort tot. Seine Witwe und sechs Kinder schauten in eine ungewisse Zukunft.

Wenige Kilometer weiter, auf der Zeche „Amalie" bei Hirzenhain, begrub herabstürzendes Gestein gleich drei Knappen unter sich, die alle aus Lixfeld kamen. Einer, namens Beck, konnte nach dreistündigen Arbeiten gerettet und schwerverletzt ins Dillenburger Krankenhaus gebraucht werden. Die beiden anderen, mit Nachnamen Schneider und Vater und Sohn, waren sofort tot.

Für die Schneiders war die Leidensgeschichte damit keineswegs zu Ende. Etwa fünfzehn Jahre später musste die Familie einen weiteren Sohn begraben. Er war mitsamt einer Lore in den Schacht der Grube „Königszug" gestürzt – offensichtlich, weil der Berufsanfänger noch nicht genug vertraut war mit den Begebenheiten untertage.

Wie dramatisch die Begleitumstände oft waren, zeigt ein Ereignis vom 2. Juli 1935. Auf „Königszug" erschlug herunterbrechendes Gestein den 39jährigen Richard Eichert. Seine Frau hatte ihm gut zwei Wochen zuvor einen Sohn geboren. Der Pfarrer taufte dann den kleinen Horst bei der Beerdigung seines Vaters am Sarge.

Auch das war ein Problem damals: Weil die Heuernte anstand, hatte Richard Eichert vor der Sechs-Uhr-Einfahrt in den „Königszug" frühmorgens schon eine Wiese gemäht, die auf dem Wege lag – für viele Bergleute, die fast alle noch eine Nebenerwerbslandwirtschaft hatten, damals eine Gepflogenheit. Die Sense hatte er wie üblich im Gebüsch versteckt, um sie nach Feierabend wieder mit nach Hause zu nehmen. Nachbarn der Eicherts machten sich nach seinem Tode auf die Suche nach dem Gerät, und fanden es auch glücklicherweise wieder. Eine Sense war in jener Zeit, als jeder Groschen vor dem Ausgeben mehrfach umgedreht werden musste, ein sehr teurer Gegenstand.

Es wären für die knapp vier Jahrzehnte, bevor der Bergbau im Schelderwald mit der Stilllegung des Falkensteins im Jahre 1973 endete, noch viele solcher Ereignisse anzufügen. Alleine für das besagte Jahr 1935 schrieb die Dill-Zeitung in ihrem Rückblick: „Sowohl bei Verkehrsunfällen als auch in Ausübung ihres Berufes kamen 11 Menschen ums Leben. Die Unfälle bei der Arbeit ereigneten sich meist in Gruben oder Steinbrüchen, wo der heimische Arbeiter wohl am meisten von Gefahren umlauert ist."