Freilich: Attacken gab es trotzdem im Schelderwald – und die waren, wie so häufig damals in unserer Heimat, vor allem gegen die Bahn gerichtet. Mit die folgenschwerste fand am 9. September 1944 statt.

Nachdem die Alliierten am 6. Juni dieses Jahres mit der Invasion in der Normandie auf dem europäischen Festland Fuß gefasst hatten, rückten sie im Sommer auf das Deutsche Reich zu. Nach und nach eroberten sie auch immer mehr Flugplätze, die bis dahin von der Nazi-Luftwaffe genutzt worden. Seit sie von dort ihre Lightnings, Mustangs und Thunderbolts starten lassen konnten, war die heimische Region in deren Reichweite gerückt.

Gegen diese Piloten mit ihren ein- oder zweimotorigen Maschinen halfen auch Beobachtungsstationen wie die auf dem „Hölzchen" nur wenig. Denn sie flogen meist sehr, sehr niedrig, die Deckungen des Geländes ausnutzend und tauchten dann unvermittelt über den Bergen und Baumwipfeln auf.

So auch an diesem Spätsommertag am Herrnberg. Einen Zug, der gerade vor dieser Bahnstation wartete, nahmen sie mit ihren Maschinengewehren unter Beschuss. Einer der Passagiere erlitt schwere Verletzungen dabei.

Wesentlich dramatischer waren die Ereignisse am gleichen Tag und fast zur gleichen Uhrzeit ein paar Kilometer weiter, vor dem Bahnhof Gönnern. Aus Niedereisenhausen war gerade der 17-Uhr-Zug eingerollt, als aus Richtung Steinperf kommend sieben Jagdflugzeuge auftauchten. Weder die Einwohner dieses Dorfes noch die Passagiere hatten so etwas bis zu diesem Tage erlebt, und so glaubte man zunächst, es seien deutsche Luftwaffen-Flugzeuge, die den Tiefflug übten.

Doch als man deren hellen Sterne – die Hoheitszeichen der US-Airforce – gewahrte, warfen sie auch schon ihre Bomben auf den Zug, um ihn dann mit neuerlichen Anflügen mit Maschinengewehrgarben einzudecken. Deren Wirkung war verheerend: Fünf der Zuginsassen waren sofort tot, zwei weitere überlebten nur um einige Stunden.

Möglicherweise waren es die gleichen Flugzeuge, die mit todbringender Wirkung zwischen dem Herrnberg und dem Bahnhof Gönnern hin und her flogen. Wenn nicht, dürften sie zumindest zur gleichen Einheit gehört haben – womöglich, lässt sich das mit gründlichen Recherchen in amerikanischen Archiven noch aufdecken.

Weitere Tote gab es bei ähnlichen Attacken gegen Züge der Scheldebahn in den folgenden Monaten. Im Dezember verlor ein Post-Lehrling sein Leben, als nahe am Oberschelder Hochofen einmal mehr die Jabos angriffen. Zwei Monate später, im Februar 1945, warfen Ami-Flieger Brandbomben auf die Haltestelle Niederscheld-Nord. Zwei Tote hatte das zur Folge, darunter ein Kind.

Diese Ereignisse konnten erst Jahrzehnte später anhand der Erinnerung von Zeitzeugen niedergeschrieben werden. In jenen schrecklichen Jahren, als der von den Nazis entfachte Krieg millionenfachen Tod über Europa gebracht hatte, waren sie allenfalls Randnotizen in der Geschichte.

Hart traf es freilich das Dorf von Niederscheld. Am Ortsrand stand die Adolfshütte in Betrieb, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ihren eigenen Hochofen hatte und später ihr Roheisen aus Oberscheld bezog – und in allerlei nützliche Produkte verwandelte. Doch jetzt hatten die Nazis aus ihr eine Waffenschmiede gemacht. In unmittelbarer Nachbarschaft grenzte zudem der große Dillenburger Verschiebebahnhof an – beides wichtige Ziele für alliierte Luftflotte. Hier waren es freilich nicht die Tiefflieger, sondern die schweren Bomber der strategischen Verbände, die aus großer Höhe ihre tödliche Fracht entluden – mit Dutzenden von Toten und Verwundeten.

Ein anderes Kapitel des Luftkriegs über dem Schelderwald war offenbar geplant, aber glücklicherweise nie zu Ende geführt worden. Es gibt zahlreiche Hinweise, dass in den letzten Kriegswochen ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt wurden, zum Bau von unterirdischen Anlagen, vor allem am „Handstein"-Gelände zwischen Oberscheld und Eisemroth. Dass sie in Verbindung standen mit dem Einsatz von Hitlers „Vergeltungswaffen", den „V1"- und „V2"-Raketen, spekulieren Lokalhistoriker.

Doch machten die amerikanischen Bodentruppen diesem Spuk schneller als erwartet ein Ende. Ende März 1945 hatten sie den Dillkreis in Besitz genommen.